Montag, 26. Januar 2015

Funnelplanning, oder wie sich Strategic Planning neu erfinden muss

Am Nachmittag des 1. Juli 1941 wurde in den USA der weltweite erste TV-Spot ausgestrahlt. Es handelte sich bezeichnenderweise um Werbung für eine Uhr. 64 Jahre lang blieb dieser Kanal mehr oder weniger der größte Wirkungshebel des Marketings. Seit 2005, mit dem Start des Web 2.0, wird dieser Hebel minütlich kleiner, denn in der Marketingwelt der (Agentur-) Kunden ist kein Stein mehr auf dem anderen geblieben:

  •  Die Möglichkeit, Reichweite nicht mehr einkaufen zu müssen sondern sich verdienen zu können, weckt Begehrlichkeiten und falsche Erwartungen.
  • Die schiere Anzahl der Marketingkanäle und damit der Möglichkeiten ist seit Google, Twitter, Facebook & Co. explodiert. Dies führt allerorten zu kompletter Verwirrung und viel Hilflosigkeit.
  • Marketing, Produktentwicklung und Vertrieb verschmelzen auf Kundenseite immer mehr. Mehrdimensionales Denken & Planen wird von den Agenturen eingefordert.
  • Die Transparenz bzw. Messbarkeit von Marketingaktivitäten und Kampagnen erhöht den Druck auf eine saubere KPI-Planung, realtime Monitoring und Optimierung on the fly.
  • Die Nachhaltigkeits- bzw. ROI-Debatte verlangt nach langfristig geplanten Maßnahmen statt kurzfristig verpuffender Einzelkampagnen.
  • Durch die Globalisierung wird Geschwindigkeit immer mehr zum entscheidenden Businessfaktor.

Klar, braucht es auch künftig noch kreative TV-Spots bzw. Kampagnenideen. Aber der inzwischen größere Marketinghebel liegt in der intelligenten Verknüpfung von off- und online Touchpoints entlang einer belastbar erhobenen Customer Journey und maßgeschneiderten Maßnahmen, die einen klaren Funnel vorsehen. Vom ersten Kontakt über Kauf, Nutzung und Weiterempfehlung sowie Wieder- bzw. Mehrkauf. Dabei gilt es auch noch schnell „draußen“ zu sein und im laufenden Betrieb zu monitoren und zu optimieren.

Wenn das Planning innerhalb der Agenturen und gegenüber den Kunden also relevant bleiben will, dann muss es neue Fähigkeiten entwickeln. Neben der Kunst, Sprungbretter zu formulieren und einen kreativen TV-Spot ans Tageslicht zu befördern, wird künftig gelten:

Planning muss sich von 360 Grad auf 365 Tage ausdehnen
Die alte 360 Grad Integration, d.h. auf jedem Werbemittel findet sich der gleiche Text, das gleiche Bild mit der gleichen Kampagnenidee, reicht nicht mehr aus. Vielmehr wird entscheidend sein, wie sich eine Maßnahme über die Zeit entwickelt. Dies muss geplant werden. Welcher Kanal startet? Wann setzt Paid ein? Welche Owned Kanäle sind involviert? Wieviel Earned soll wo und bis wann erreicht werden?

Planning muss die Kanäle verstehen
Über Wirkweise und  Zusammenhänge von TV, Print, Plakat etc. müssen wir nicht mehr diskutieren. Das hinterfragt nach 64 Jahren gelebter Marketingpraxis substantiell auch kein Kunde mehr. Marken und Kunden wollen vom Planning aber sehr wohl wissen, welche Kanäle wie, in welcher Reihenfolge, anstelle welcher bisherigen Kanäle und mit welcher Ergebniserwartung zu nutzen sind.

Planning muss sich mit Media unterhalten
Gerade die Frage welche neuen Kanäle zu Lasten welcher bisherigen Kanäle einzusetzen sind (denn nicht jeder Kunde hat den Luxus eines steigenden Marketingbudgets), lässt sich nur mit Media zusammen beantworten. Dazu muss das Planning den Sündenfall der Werbeindustrie (Trennung von Media und Kreation) beheben und den tiefen Graben aktiv überwinden.

Planning muss die interne Schaltzentrale aller Gewerke werden
Innerhalb der Agenturen muss Planning das Schnittstellenmanagement der Divisionen (u.a.  Shopper, PR, Design, Digital) übernehmen.  Nicht mehr Beratung und Kreation sind der Haupt-Ansprechpartner, sondern gleichberechtigt alle „Abteilungen“ und - je nach Aufgabenstellung - auch externe Kooperationspartner. Schnittstellenmanagement ist aber eine Funktion, die bisher nicht im Planning verankert war und eigene Fähigkeiten (Führung, Empathie, Delegation) verlangt. Der strategische Elfenbeinturm hat endgültig ausgedient.

Planning muss Marketingkompetenz entwickeln
Komplexitätsbedingt sourcen Kunden das „Denken“ im großen Stil aus. Zurück bleiben juniorige Projektmanager. Gleichzeitig wachsen Marketing, Produkt und Vertrieb immer enger zusammen. Daraus erwächst eine große Chance für das Planning. Dazu muss aber ein Perspektivwechsel gelingen: Nicht Kommunikation und Kampagnen sind das Zentrum aller Überlegungen, sondern Businessziele, Customer Journeys und das gesamte Spektrum des größer gewordenen Marketingmixes. Kommunikationskampagnen können dort auch eine Lösung sein, sind es aber nicht mehr zwangsläufig und ausschließlich.

Planning muss schneller werden
In dem Maße wie „speed to market“ für unsere Kunden wichtiger wird, wird es das auch für fürs Planning. Eine wochenlange Suche nach DER Wahrheit (die es im Marketing eh nicht gibt) kann sich das Planning nicht mehr erlauben. Ein Blick über den Zaun zu erfolgreichen Startups hilft. Dort lautet eine Erfolgsregel „we have a simple strategy: it´s called doing things”. Heißt im Klartext: Beta-Launch, Messen, Lernen, Optimieren, Messen usw.

 Planning muss am Ball bleiben
Wie für alle anderen Agenturgewerke gilt künftig auch für das Planning: Nach dem Launch/On Air fängt die Arbeit erst richtig an. Die Messung, Analyse und Optimierung der Maßnahmen in Realtime werden das Aufgabenfeld ausweiten. Dazu muss Planning lernen, mit Monitoring-Tools wie z.B. Adobe Marketing Suite, Brandwatch etc. umzugehen.

Planning muss Spaß an Zahlen haben
Zusätzlich zu den eher konzeptionellen, textlichen und kreativen Fähigkeiten, werden in Zukunft zahlenbasierte und analytische Fähigkeiten in den Fokus rücken. Insbesondere bei der Planung, Analyse und ROI-Berechnung.

Planning muss näher an die Kunden ran
Planning darf den Kopf ob der aufkommenden Media-, Digital-, Social- und Start-Up-Agenturen nicht in den Sand stecken. Es gilt die Deutungshoheit über die vielen Daten zurück zu gewinnen. Dafür muss, wie oben beschrieben, die Perspektive neu ausgerichtet und näher an die Marketingentscheider auf Kundenseite herangerückt werden. 

Mittwoch, 2. Juli 2014

Die beste Werbung ist keine Werbung

Die Erkenntnis, dass Werbung im herkömmlichen und noch immer weit verbreiteten Sinne an Wirkung verloren hat ist keine Raketenwissenschaft.
Es existieren gefühlte 100.000 Buzzwords zu dem Thema, die jeder im Schlaf runterbeten kann: Second Screen; P(aid) O(wned) E(arned); Content is King; Storytelling; Age of Recommendation; Pull statt Push….

Aber was heißt das denn wirklich? Wenn die Menschen Werbung nicht mehr an sich heran lassen, können Marken, Produkte und Unternehmen dann überhaupt noch mit ihnen kommunizieren? Welche Art von Ideen müssen Agenturen dann liefern?

Das digitale Zeitalter bringt zwei fundamentale Änderungen mit sich:

  1. Die Atomisierung der eh schon knappen Ressource „Aufmerksamkeit“ auf weitere zigtausend (soziale) Kanäle und
  2. Die ständige (mobile) Verfügbarkeit der schon immer meist vertrauten Informationsquelle: persönliche Empfehlungen von Menschen die ich kenne bzw. denen ich vertraue
Werbekampagnenideen (und seien sie noch so medienneutral), meist in Verbindung mit sehr viel TV-Mediainvestment, dringen nicht mehr wirtschaftlich durch diesen neuen „sozialen Filter“ der Menschen. Neue Wege müssen her.

Eine Möglichkeit: das Leben der Menschen in einem relevanten Bereich signifikant verbessern und zwar so, dass

  • die fundamentale Story der Marke dabei mittransportiert wird
  • die positive Nutzungserfahrung einfach und sofort weiterempfohlen und geteilt wird
Statt schöne Geschichten über Marken bzw. Produkte zu erzählen, brauchen wir Dinge über die die Menschen von sich aus erzählen: StoryDOINGS anstatt Storytelling

Ein Beispiel:
Das Car-Sharing-Angebot „Drive Now“ wird mittlerweile von über 250.000 Menschen in Deutschland genutzt. Eine Vielzahl davon (mich eingeschlossen) wird die Marke Mini zwar kennen, aber nicht im Relevant Set haben. Dies dürfte sich durch die Nutzung von Drive Now massiv ändern. Auch in deren Familien- und Freundeskreis. Diesen Shift in den Köpfen (schönen Gruß an Opel) hätte die Marke Mini mit klassischen Werbekampagnen wahrscheinlich nicht geschafft, zumindest nicht wirtschaftlich. Das Schöne an dieser Maßnahme: Die Kunden zahlen sogar noch für die Botschaft, das Businessmodell trägt sich selbst, „Werbung“ gratis dazu.


Dienstag, 1. April 2014

Antizipatives Marketing

Nach amazon springt seit heute auch die Online-Essen-Bestellplattform Lieferservice.de auf den Zug des antizipativen Marketings auf:

Lieferservice.de liefert auf Verdacht

Idee: zeichnet sich anhand der Kundendaten ein bestimmtes Verhaltensmuster ab, so gehen amazon & Co. ins Risiko und liefern auch ohne konkrete Bestellung.

Was bei amazon die Liefergeschwindigkeit erhöhen, und so noch mehr Kunden aus dem stationären Handel abziehen soll, richtet sich bei Lieferservice.de auf More-Selling der Stammkundschaft.

Wenn ein Kunde regelmäßig Freitags um 19 Uhr eine Pizza Hawaii bestellt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er es kommenden Freitag ebenfalls tut. Bevor er es sich anders überlegt, versuche ich als Anbieter diese nette Gewohnheit weiter zu pflegen, dem Kunden die Bestellung zu ersparen und liefere mit kurzer Vorabinformation automatisch. Selbstverständlich kann der Kunde auch ablehnen (vorab oder an der Tür).

Die Rechnung geht auf, wenn die Vollkosten der Fehl-/Ablehnungslieferungen unter dem ansonsten nicht generierten Mehrumsatz liegen.

Einen Versuch ist es allemal wert...